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Himalaya-Gletscher sind vom Klimawandel betroffen

Himalaya-Gletscher sind vom Klimawandel betroffen - Featured image

Author(s): Alexis ORSINI / Katharina ZWINS / AFP Frankreich

Zwischen 2011 und 2020 schmolzen die Gletscher im Himalaya um 65 Prozent schneller als im Jahrzehnt zuvor. Bis zum Ende des Jahrhunderts könnten sie bis zu 80 Prozent ihres derzeitigen Volumens verlieren, so Schätzungen aus 2023. In sozialen Medien teilen Nutzerinnen und Nutzer im Januar 2024 hingegen eine Studie, aus der angeblich hervorgehe, dass “die Himalaya-Gletscher sehr viel langsamer schmelzen als erwartet” – und es daher keine globale Erwärmung gäbe. Das ist falsch. Die Studie beschreibt laut Fachleuten ein lokales Abkühlungsphänomen innerhalb des Himalaya, das einen Teil der Gletscher teilweise schützen könnte, aber auch negative Auswirkungen hat. Die Co-Autoren der Studie erklärten gegenüber AFP, dass das von ihnen beschriebene Phänomen eine “direkte Folge” des Temperaturanstieges über den Gletschern sei, was einen Zusammenhang mit der globalen Erwärmung bestätige.

“Enthüllt: Himalaya-Gletscher spielen beim Klimawandel nicht mit”, schreibt ein User Anfang Januar 2024 auf Facebook. Dazu teilt er einen Artikel der deutschen Internetseite “Reitschuster”, die in der Vergangenheit bereits mehrfach Falschinformationen verbreitet hat (etwa hier, hier und hier). In dem Beitrag heißt es, aus einer in einer Fachzeitschrift veröffentlichten Studie gehe hervor, “dass die Himalaya-Gletscher sehr viel langsamer schmelzen, als dies zu erwarten gewesen sei”.

Auch auf anderen Plattformen wie Instagram, X und Telegram wird die Behauptung verbreitet. Die Aussage findet sich auch auf Accounts der deutschen AfD wieder. Auf Französisch wird die Behauptung ebenfalls verbreitet. Häufig teilen Nutzerinnen und Nutzer einen Artikel des deutschen Mediums “Focus” zu diesem Thema.

Facebook-Screenshot der Behauptung: 12. Januar 2024

Userinnen und User stellen immer wieder die Existenz des menschengemachten Klimawandels infrage. Faktenchecks zum Thema Klima sammelt AFP hier.

Die aktuell verbreitete Behauptung bezieht sich auf eine Studie, die am 4. Dezember 2023 in der renommierten Fachzeitschrift “Nature Geoscience” (hier archiviert) veröffentlicht wurde. Es wird jedoch der falsche Schluss gezogen, dass ein solches Phänomen beweisen würde, dass die Gletscher des Himalaya langsamer als erwartet schmelzen würden und es keine globale Erwärmung gäbe.

Hierbei handelt sich um eine Fehlinterpretation der Studie, die sich mit einem lokalen Abkühlungsphänomen innerhalb des Himalaya befasst. In der Studie wird dargelegt, dass dies auf einen unerwarteten Effekt der globalen Erwärmung zurückzuführen sei.

Klarstellung durch Fachleute und Studienautoren

Etienne Berthier, Glaziologe am Nationalen Zentrum für wissenschaftliche Forschung (CNRS) in Frankreich und am Legos Observatorium Midi Pyrénées tätig, erklärte gegenüber AFP am 5. Januar 2024, dass die Studie “nicht die globale Erwärmung (…) oder den Beweis für den Massenverlust der Gletscher” infrage stelle. Die Studie diskutiere einen Prozess, “der die Erwärmung auf der Ebene der Gletscherzungen und der umliegenden Gebiete begrenzen könnte”.

“Der Massenverlust der Himalaya-Gletscher (…) ist real, besonders in der Everest-Region, die das Thema dieser Studie ist (…). Es gibt auch eine Beschleunigung des Massenverlusts, auch wenn die Verluste dieser Gletscher weniger schnell sind als in anderen Regionen der Erde”, fuhr er fort.

Arun Bhakta Shrestha, Experte für Klimawandel am Internationalen Zentrum für Integrierte Entwicklung in Bergregionen (ICIMOD), einer zwischenstaatlichen Organisation mit Sitz in Nepal, erklärte am 8. Januar 2024 gegenüber AFP ebenfalls: “Der Artikel behauptet nicht explizit, dass die Gletscher im Himalaya ‘langsamer als erwartet’ schmelzen. Stattdessen liefert er eine umfassende Analyse der Klimadynamik in der Region und konzentriert sich dabei besonders auf ein lokales Abkühlungsphänomen in der Nähe der Gletscher.”

Nicolas Guyennon und Franco Salerno, Forscher am Nationalen Forschungsrat Italiens (CNR) – sowie auch am italienischen Wasserforschungsinstitut (IRSA) und am italienischen Institut für Polarwissenschaften (ISP) –, sind die beiden Co-Autoren der Studie. Sie erklärten gegenüber AFP am 9. Januar 2024, in ihrer Forschung die Hypothese aufzustellen, dass das Phänomen, das sie dort detailliert beschreiben, “die Gletscherzunge, solange sie aktiv ist (Vorrücken eines Gletschers in ein Tal, Anm. d. Red.), teilweise schützen kann, ohne dies quantifizieren zu können”.

Wobei sie klarstellten, dass das in der Studie beschriebene Phänomen “eine direkte Folge des Temperaturanstieges über den Gletschern” sei und es nicht auftreten würde, wenn sich die klimatischen Bedingungen nicht ändern würden.

Beschleunigung der Gletscherschmelze

Im Detail beruht die Studie auf einer Methode, die laut Zusammenfassung darin bestand, “die seit 1994 von der Pyramid-Wetterstation auf dem Mount Everest zusammengestellten stündlichen Daten über vergletscherte Erhebungen zu analysieren und mit anderen Feldbeobachtungen und einer Klima-Neuanalyse zu ergänzen”.

“Die globale Erwärmung führt nicht zu kälteren Winden im Himalaya, sondern zu mehr kalten Winden. Diese Winde sind bereits bekannt, aber sie sind hauptsächlich nachts aktiv, wenn die Monsunwinde, die die Himalaya-Hänge hinaufziehen, schwächer sind”, erklärten Nicolas Guyennon und Franco Salerno gegenüber AFP im Detail.

In ihrer Arbeit gehen die Forschenden davon aus, dass “die Gletscher als Reaktion auf den Temperaturanstieg während der heißesten Stunden des Tages überschüssige Energie verbrauchen, um die Lufttemperatur an der Gletscheroberfläche nahe null Grad zu halten”. Das führe dazu, dass “kalte Luftmassen in einer wärmeren Umgebung auf die Gletscher treffen, die als Folge häufiger und intensiver katabatische Winde (Fallwinde, Anm. d. Red.) erzeugen”.

Ein Gletscher in der Everest-Region in Nepal im Jahr 2018 – PRAKASH MATHEMA / AFP

“Was die Autoren wirklich ans Licht bringen, ist, dass die Zunahme der Schmelze potenziell noch größer hätte sein müssen, wenn es nicht eine Verstärkung der katabatischen Winde gegeben hätte”, die in der Regel “lokal von den Gletschern erzeugt werden”, erklärte Patrick Wagnon, Glaziologe am Institut für Umweltgeowissenschaften im französischen Grenoble und Spezialist für die Überwachung der Himalaya-Gletscher, am 8. Januar 2024 gegenüber AFP.

“Wir sind uns aufgrund von Feld- und Sensormessungen sicher, dass in allen Gebieten der asiatischen Hochgebirge zwischen 2000 und 2020 eine Beschleunigung der Schmelze stattgefunden hat”, fuhr der Experte fort. Er erklärte: “Wenn man den Zeitraum von 2000 bis 2020 in vier Fünfjahresperioden unterteilt, ist die Periode von 2015 bis 2020 diejenige, in der es unabhängig von der Himalaya-Zone eine schnellere Schmelze als in der Anfangsperiode von 2000 bis 2005 gab. Insgesamt gibt es eine Beschleunigung der Schmelze, auch wenn man anerkennen muss, dass es sich um einen kurzen Zeitraum handelt.” Bei der Ableitung von Trends aus einem kurzen Zeitraum sei jedoch stets Vorsicht geboten.

Lokales Phänomen mit negativen Auswirkungen auf Gletscher

Arun Bhakta Shrestha rief außerdem in Erinnerung, dass eine von ICIMOD im Juni 2023 veröffentlichte Studie zeigte, dass die Gletscher im Himalaya zwischen 2011 und 2020 um 65 Prozent schneller schmolzen als im Jahrzehnt zuvor.

Legt man die derzeitigen Emissionspfade zugrunde, könnten die Gletscher nach Schätzungen von ICIMOD bis zum Ende des Jahrhunderts bis zu 80 Prozent ihres derzeitigen Volumens verlieren. Die Himalaya-Gletscher speisen zehn der größten Flusseinzugsgebiete der Welt – darunter den Ganges, den Indus, den Gelben Fluss, den Mekong und den Irrawaddy. Sie versorgen zudem Milliarden von Menschen direkt oder indirekt mit Nahrung und Energie.

Laut einer Studie, die im April 2021 in der Zeitschrift “Nature” erschien und “die erste umfassende Kartierung des weltweiten Gletscherschwundes” bietet, wie der Autor Romain Hugonnet gegenüber AFP erklärte, hat sich das durch den Klimawandel verursachte Abschmelzen der Gletscher der Erde in den letzten 20 Jahren weiter beschleunigt.

Laut der Studie verloren die Gletscher zwischen 2000 und 2019 durchschnittlich 267 Milliarden Tonnen Eis pro Jahr, wobei sich das Schmelzen weitgehend beschleunigt hat: von durchschnittlich 227 Milliarden Tonnen pro Jahr zwischen 2000 und 2004 auf durchschnittlich 298 Milliarden Tonnen pro Jahr zwischen 2015 und 2019.

Der Khumbu-Gletscher südlich des Everest in Nepal im Jahr 2009 – PRAKASH MATHEMA / AFP

Wie Nicolas Guyennon und Franco Salerno gegenüber AFP betonten, führe das in ihrer Studie beschriebene Phänomen zwar “zu einer zunehmenden Abkühlung der Luft an der Basis der Gletscher”. Doch umgekehrt “werden diese Winde, die von den Gletschern herunterkommen, den mit Feuchtigkeit beladenen Monsunwinden entgegenwirken, die die Hänge des Himalaya hinaufziehen, und infolgedessen die Niederschläge in sehr großen Höhen reduzieren, die die Gletscher ‘füllen'”.

“Dieser zweite Effekt, eine Folge des ersten, ist negativ für die Gletscher”, so die Forscher weiter. Ein Punkt, den auch Arun Bhakta Shrestha unterstrich: “Obwohl der in der Studie identifizierte lokale Kühleffekt eine Form des Schutzes vor der unmittelbaren Erwärmung in den tiefsten Gletscherregionen bieten kann, hat er auch negative Auswirkungen. Die Verringerung des Niederschlages und die negativen Auswirkungen auf die Massenbilanz des Gletschers sind ebenfalls problematisch. Die Studie kommt nicht zu dem Schluss, dass dieser lokale Kühleffekt stark genug ist, um dem globaleren Trend der Gletscherschmelze im Himalaya entgegenzuwirken.”

Patrick Wagnon räumte zwar ein, dass diese “bahnbrechende” Studie auf diesem Gebiet “konzeptionell sehr interessant” sei und “einen potenziellen negativen Rückkopplungsprozess aufzeigt, der die Auswirkungen der globalen Erwärmung auf vereiste Gebiete abschwächen würde”. Er ist jedoch der Ansicht, dass die Ergebnisse noch “validiert” werden müssten und einige Aspekte der Arbeit – darunter die Daten, auf denen sie beruht – im Zuge weiterer wissenschaftlicher Untersuchungen zu diesem Thema noch bestätigt oder widerlegt werden müssten.

“Was wir über das ungewisse Schicksal der Gletscher im Himalaya hinaus verstehen müssen, ist, dass die Folgen der raschen globalen Erwärmung, die wir erleben, aufgrund eines komplexen Klimasystems (…) extrem unvorhersehbar sind”, schlussfolgerten Franco Salerno und Nicolas Guyennon. In den nächsten Jahren wollen sie daran arbeiten, die in ihrer Studie vorgebrachten Hypothesen zu “verifizieren”.

In den 2000er-Jahren geriet der Weltklimarat IPCC bezüglich eines Fehlers in die Kritik, der das “sehr wahrscheinliche” Verschwinden der Himalaya-Gletscher bis zum Jahr 2035 betraf. Dieser Patzer hatte die Kritik der Klimaskeptiker genährt. Der IPCC bedauerte seine “wenig fundierte” Schätzung über die Geschwindigkeit der Gletscherschmelze im Himalaya. Er betonte aber, dass dieser die Gültigkeit seiner Schlussfolgerungen über die beschleunigte Gletscherschmelze nicht in Frage stelle.

Fazit: Online heißt es fälschlich, eine Studie belege, dass Gletscher im Himalaya “langsamer schmelzen als erwartet” und es daher keine globale Erwärmung gebe. Hierbei handelt es sich jedoch um eine falsche Interpretation der Studienergebnisse. Die Studie beschreibt laut Fachleuten ein lokales Abkühlungsphänomen innerhalb des Himalaya, das einen Teil der Gletscher teilweise schützen könnte, aber auch negative Auswirkungen hat. Die Studienautoren erklärten, dass das von ihnen beschriebene Phänomen eine “direkte Folge” des Temperaturanstieges über den Gletschern sei, was den Zusammenhang mit der globalen Erwärmung bestätige. Zwischen 2011 und 2020 schmolzen die Gletscher im Himalaya um 65 Prozent schneller als im Jahrzehnt zuvor.

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Ursprünglich hier veröffentlicht.